
Nicht immer herrscht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber harmonische Einigkeit. Häufig kommt es zu Streitigkeiten, die letztendlich nur von einem Richter geklärt werden können. Immer wieder ergehen daher im Arbeitsrecht bedeutsame Urteile, die wegweisend für deutsche Arbeitsverhältnisse sind. Ganz gleich, ob sie von einem örtlichen Arbeitsgericht oder dem Bundesarbeitsgericht (BAG) getroffen wurden.
Ein Großteil der Urteile im Arbeitsrecht befasst sich mit der Zulässigkeit von Kündigungen. Arbeitsverhältnisse werden zum Teil aus den kuriosesten Gründen beendet – manche lassen uns schmunzeln, bei anderen kann man nur verständnislos den Kopf schütteln. In diesem Artikel liefern wir Ihnen eine Auswahl an den bedeutsamsten und bizarrsten Entscheidungen im deutschen Arbeitsrecht.
Inhalt
Der „Fall Emmely“: Fristlose Kündigung wegen Bagatelldiebstahl
Dieser Fall aus dem Jahr 2010 erregte bundesweit Aufsehen: Eine langjährige Supermarkt-Kassiererin, die später als “Emmely” bekannt wurde, hatte zwei verlorene Leergutbons im Wert von insgesamt 1,30 Euro eigenmächtig bei ihrem Arbeitgeber eingelöst. Sie wurde daraufhin außerordentlich fristlos und hilfsweise fristgemäß gekündigt. Die Kassiererin reichte Kündigungsschutzklage ein, doch sowohl das Arbeitsgericht Berlin als auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wiesen sie ab.
Der Fall landete schließlich vor dem Bundesarbeitsgericht, welches überraschend anders entschied als seine Vorinstanzen: Das BAG erklärte sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung für unwirksam. Angesichts des geringen Schadens für den Arbeitgeber und der langen, tadellosen Betriebszugehörigkeit der Kassiererin sei eine Kündigung unverhältnismäßig. Das Urteil betonte, dass vor einer solch schwerwiegenden Maßnahme immer eine umfassende Interessenabwägung stattfinden müsse. In dem betreffenden Fall hätte eine Abmahnung der Arbeitnehmerin genügt.
Der „Fall Emmely” war eines der wichtigsten Arbeitsrecht-Urteile neuerer Zeit und entfachte eine Grundsatzdiskussion über die Zulässigkeit von Bagatellkündigungen und die bis dahin geltende Rechtsprechung. Durch das Urteil des BAG wurden die Rechte von Arbeitnehmern in ganz Deutschland maßgeblich gestärkt.
Quelle: BAG, Urteil vom 10.6.2010, AZ: 2 AZR 541/09
Fernsehauftritt trotz Krankmeldung: Kündigung nach TV-Live-Sendung aus Venezuela
Eine Arbeitnehmerin täuschte im Dezember 1997 eine Arbeitsunfähigkeit vor, um eigenmächtig Urlaub anzutreten. Sie hatte die Reise nach Venezuela bereits im Sommer gebucht, den dafür nötigen Urlaub aber erst Ende Oktober beantragt. Mit der Begründung, dass die Mitarbeiterin für den Jahresabschluss benötigt werde, verweigerte der Arbeitgeber ihr den Urlaub.
Die Frau ließ sich daraufhin Ende Dezember von ihrer Hausärztin krankschreiben. Zwei Tage später war sie in der Fernsehsendung “Silvester unter Palmen” zu sehen, die live aus Venezuela ausgestrahlt wurde. Ihr Arbeitgeber sah den Auftritt und sprach die fristlose Kündigung aus. Zu Recht, wie das Arbeitsgericht Nürnberg befand, insbesondere da die verantwortliche Hausärztin die 15-tägige Krankschreibung nicht fachlich begründen konnte. Die Kündigungsschutzklage der Mitarbeiterin wurde abgewiesen.
Quelle: ArbG Nürnberg, Urteil vom 28.07.1998 , AZ: 6 Ca 492/98
Fristlose Kündigung wegen eines Streiches auf der Toilette
Kennen Sie diesen Trick? Bei altmodischen Türen können Sie ein Blatt Papier durch den unteren Türspalt schieben und dann mit einem Schlag gegen die Tür dafür sorgen, dass der Schlüssel auf der anderen Seite aus dem Schloss und auf das Papier fällt. Wenn Sie dieses dann vorsichtig zu sich zurückziehen, kommen Sie trotz geschlossener Tür an den Schlüssel. Eine gewiefte Methode, wenn Sie sich versehentlich aus einem Zimmer ausgesperrt haben.
Wer sie allerdings dazu nutzt, um seinen Kollegen “aus Spaß” auf der Firmentoilette einzuschließen, ist weniger clever. Insbesondere, wenn besagter Kollege sich eigenmächtig befreit, indem er die Toilettentür beschädigt. Der entstandene Sachschaden am Eigentum des Arbeitgebers kann dann nämlich dem verantwortlichen “Scherzbold” zum Verhängnis werden: in Form einer fristlosen Kündigung.
So zumindest ereignete es sich im Jahr 2020 im Lager eines Betriebes. Der gekündigte Lagerist reichte zwar Kündigungsschutzklage ein, hatte damit jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht Siegburg entschied, dass das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber zerstört und der Kläger zudem für die Beschädigung der Tür verantwortlich war, weil er dem eingesperrten Kollegen den Schlüssel vorenthalten hatte. Beides rechtfertigte laut Ansicht des Gerichts die fristlose Kündigung.
Es zeigt sich: Nicht alle Arbeitsrecht-relevanten Urteile werden zugunsten des Arbeitnehmers entschieden.
Quelle: ArbGericht Siegburg, Urteil vom 11.02.2021, AZ: 5 Ca 1397/20
Entblößung auf der Baustelle: Fristlose Kündigung in ordentliche umgedeutet
Ein Arbeitnehmer entblößt vor den Augen der Kollegen seine Genitalien und tut obendrein so, als würde er ins Auto eines Mitarbeiters urinieren. Dabei berührt er mit seinem Gemächt auch die Innentür des Fahrzeugs. Man sollte meinen, dass ein solches Verhalten die fristlose Kündigung rechtfertigen würde, oder?
Nicht unbedingt, entschied das Arbeitsgericht Weiden im Jahr 2023. Objektiv betrachtet wäre ein solches Gebaren eines Angestellten natürlich unzumutbar. Aber in bestimmten Situationen könnte man auch von mildernden Umständen sprechen und den Verstoß als weniger schwer einstufen.
Und was waren die mildernden Umstände in diesem Fall? Alle Beteiligten – sowohl der gekündigte Arbeitnehmer als auch sämtliche Zeugen – waren in der Baubranche tätig. Und in dieser herrsche eben schon mal ein “rauerer Umgangston”, wie das Arbeitsgericht argumentierte. Immerhin hätten die anwesenden Zeugen sogar gelacht und der Arbeitnehmer war ja auch schon seit über vier Jahren beim Arbeitgeber beschäftigt gewesen. Aufgrund dieser Faktoren befand das Gericht eine fristlose Kündigung als unverhältnismäßig und deutete sie in eine ordentliche Kündigung um.
Quelle: ArbG Weiden, Urteil vom 13.03.2023, AZ: 3 Ca 556/22
Kündigung wegen Bombenattrappe: Terror-Scherz kostet Arbeitsplatz
Es klingt wie ein schlechter Scherz – und genau das war es auch: Ein Arbeitnehmer fand in der Nähe der Maschinenhalle einen herrenlosen Koffer, versehen mit einem Absperrhahn und einem Manometer. Obendrein ragten einige Drähte heraus. Das Ganze erinnerte an eine Bombe und der Arbeitnehmer beschloss, sich einen “Spaß” zu machen: Er schrieb einige arabisch klingende Parolen auf den Koffer, um es wie eine Terrordrohung aussehen zu lassen. Für denjenigen, der mutig genug wäre, die “Bombe” zu öffnen, befestigte er im Inneren zwei Milchschnitten als Belohnung. Danach ließ er den Koffer im Betrieb stehen.
Überraschenderweise fand niemand sonst die Aktion besonders lustig – weder der alarmierte Abteilungsleiter noch die Sprengstoffeinheit der Polizei, die den gesamten Betrieb evakuierte. Erst als der Scherzbold zugab, dass es sich um eine gefahrlose Attrappe handle, wurde Entwarnung gegeben. Lachen wollte über den “Spaß” niemand, vermutlich auch nicht der verantwortliche Angestellte, denn der erhielt von seinem Arbeitgeber die fristlose Kündigung. Eine Kündigungsschutzklage blieb erfolglos; das Arbeitsgericht Herne bestätigte die Kündigung mit der Begründung, dass das Vertrauen des Arbeitgebers in den Arbeitnehmer erheblich geschädigt wurde.
Quelle: ArbG Herne, Urteil vom 11.10.2016, AZ: 2 Ca 269/16
“Etwas Scheiße gebaut”: Kündigung wegen Eskalation bei Weihnachtsfeier
Firmenweihnachtsfeiern sind ein beliebtes Thema im Arbeitsrecht: Mehrere Urteile befassten sich schon mit der Frage, welches Verhalten noch als lustiger Spaß unter Alkoholeinfluss abgetan werden kann und wann der Bogen eindeutig überspannt wurde. So auch das Arbeitsgericht Wuppertal im Jahr 2023. In dem betreffenden Fall ging es um zwei Mitarbeiter einer Winzergenossenschaft: Diese entschieden sich, nach Abschluss der Firmenweihnachtsfeier noch ein bisschen allein weiterzufeiern – im Aufenthaltsraum der firmeneigenen Kellerei, zu dem sie sich mitten in der Nacht Zugang verschafften.
Offenbar floss dabei weiterhin reichlich Alkohol, denn am Morgen standen vier leere Flaschen Wein (die dem Arbeitgeber gehörten) auf dem Tisch und einer der beiden Feiernden hatte sich auf den Boden des Raumes erbrochen. Hinzu kamen zahlreiche Zigarettenstummel im Mülleimer (trotz Rauchverbot im Betrieb) und eine zerquetschte Mandarine auf dem Fußboden, die scheinbar als Wurfgeschoss benutzt wurde. Im späteren Gespräch mit dem Chef räumte einer der beiden Beteiligten ein, “etwas Scheiße gebaut” zu haben, und bezahlte auch den entwendeten Wein. Der Arbeitgeber sah in dem Verhalten jedoch eine erhebliche Pflichtverletzung und sprach die fristlose Kündigung aus.
Das ArbG Wuppertal gab der Kündigungsschutzklage des Mitarbeiters statt: Es hätte zuvor eine Abmahnung geben müssen, eine Kündigung war nicht nötig. Eine Ansicht, die das Landesarbeitsgericht Düsseldorf nicht teilte. Dieses bewertete die Pflichtverletzung als schwer genug, um die sofortige Kündigung zu rechtfertigen. Letztendlich einigten sich die Parteien in einem Vergleich.
Quelle: ArbG Wuppertal, Urteil vom 24.03.2023, AZ: 1 Ca 180/23
Quellen und weiterführende Links
- BAG, Urteil vom 10.6.2010, AZ: 2 AZR 541/09
- ArbG Nürnberg, Urteil vom 28.07.1998 , AZ: 6 Ca 492/98
- ArbGericht Siegburg, Urteil vom 11.02.2021, AZ: 5 Ca 1397/20
- ArbG Weiden, Urteil vom 13.03.2023, AZ: 3 Ca 556/22
- ArbG Herne, Urteil vom 11.10.2016, AZ: 2 Ca 269/16
- ArbG Wuppertal, Urteil vom 24.03.2023, AZ: 1 Ca 180/23